Wie fühlt sich das an?

Wie fühlt sich das an?

Ich reiche ihr den letzten Stapel Zettel. Sie wirft einen kurzen Blick auf den Fragebogen und nickt wissend. „Hab ich mir doch gedacht.“, steht ihr ins Gesicht geschrieben.
„Schön.“, denke ich, „haben wir also eine passende Schublade für mich gefunden.“

„Wie fühlt sich das an?“, fragt sie und kritzelt dabei konzentriert auf ihrem Klemmbrett. Ich hasse Psychologen. Spreche es aber nicht aus. Ich weiß genau, was sie sagen würde: „Hass, das ist aber ein großes Wort. Was genau meinen Sie mit Hass? Auf einer Skala von 1 bis 10, wenn 1 …“
„Zehn!“, seufze ich, noch bevor ich die Frage zu Ende gedacht habe. Als ob es einen Unterschied machen würde.
„Ähm, zehn?“, sie schaut mich verwirrt an und wartet auf eine Antwort. „Zehn?“, fragt sie erneut, „Entschuldigen Sie David, aber zehn ist kein Gefühl und auch kein Wort, das ein Gefühl beschreibt. Oder worauf möchten Sie hinaus? Vielleicht würde es helfen, wenn Sie mir einmal mehr als ein Wort entgegnen?“.

„Vielleicht würde es helfen, wenn ich einfach wieder nach Hause gehe und wir diese Veranstaltung hier beenden.“, erwidere ich.
Wie sie so verunsichert über den Rand ihrer Brille lugt, tut sie mir leid. Sie kann ja auch nichts dafür. Aber es ist doch reine Zeitverschwendung. Wie mein gesamtes Leben momentan – wenn es überhaupt je Sinn gemacht hatte. Dieser Gedanke (so schon schlimm genug) wird in diesem acht Quadratmeter kleinen sterilen Raum, wissend, dass an der Tür ein großes Schild mit der Aufschrift „THERAPIE“ prangt, geradezu unerträglich. Zu allem Überfluss hat Frau Psychologin eine Kamera aufgestellt – für die nachfolgende Fallbesprechung und Supervision mit ihren Kollegen. „Wir wollen uns ja alle noch verbessern, nicht wahr?“, waren ihre Worte.
„Ja, NICHT wahr.“, hatte ich gedacht und mich einmal mehr wie der Hauptdarsteller im Film „Die Sinnlosigkeit des Seins“ gefühlt. Und woher kam eigentlich das Gerücht, dass es bei jedem Psychologen eine Couch gäbe? Bei mir jedenfalls reichte es nur für unbequeme Holzstühle. Aber gut, so hatte es sich ja schon durch mein ganzes Leben gezogen: Unbequem und anders als erwartet.

„In Ordnung, Sie wollen wissen, wie es sich anfühlt? Ich hab das Gefühl, es ging mir noch nie so scheiße. Ich könnte nur heulen und habe keine Hoffnung mehr. Und keine Kraft. Aber sonst, sonst ist alles gut.“

„Aber,..“, will sie einwerfen.

„Aber was? Ja, das Leben ist schön. Und jetzt sagen Sie das mal meinem Kopf.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

achtung, eine durchsage: lassen sie ihr leben nicht unbeaufsichtigt